Samstag, 24. Januar 2009
 
Nicaragua: Vom Wahlmanöver zur Straßenschlacht PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Leo Gabriel   
Dienstag, 11. November 2008

In Nicaragua endeten die als für die Regierung Daniel Ortegas strategisch eingestuften Gemeinderatswahlen, die am 9. November stattfanden, in einem offenen Straßenkampf zwischen den SympathisantInnen der Regierungspartei FSLN und der oppositionellen PLC (Partido Liberal Constitucionalista).

Bereits im Vorfeld hatten sich am Ende der Regenzeit schwere Gewitterwolken über dem ehemals revolutionären Nicaragua zusammengebraut: Einige Monate zuvor war der einzigen linken Oppositionspartei MRS (Movimiento de Renovación Sandinista) die Aufnahme ins Wahlregister verweigert worden; die wegen der Ratifizierung des Abtreibungsverbots aufmüpfigen Frauenorganisationen wurden der Geldwäsche angeklagt; sowohl internationale als auch nationale Wahlbeobachterorganisationen wie die Menschenrechtskommission CENIDH, aber auch ein großer Teil der BeisitzerInnen (Fiscales) von der Opposition nicht zu den Wahllokalen zugelassen.


„Der gesamte Wahlapparat wird von unten bis oben von den Sandinisten kontrolliert“, hatte der nicaraguanische Politologe Manuel Ortega von der Jesuitenuniversität UCA schon zuvor gewarnt – und er sollte Recht behalten. Und auch die vom Wahlverfahren ausgeschlossene Alta Hooker, Präsidentin der parteiunabhängigen Beobachtungsstelle Ética y Transparencia bestätigte im Nachhinein: „Diese Wahlen waren die am wenigsten transparenten seit der Somoza-Zeit.“


Dabei begann der Wahltag im ganzen Land relativ friedlich: Im Unterschied zu den Präsidentschaftswahlen vor zwei Jahren öffneten die Wahllokale relativ pünktlich und es gab auch genügend Stimmzettel, um dem von den Medien propagierten Ansturm gerecht zu werden. Aber bereits gegen drei Uhr nachmittag, als die disziplinierten AnhängerInnen der Regierungspartei schon gewählt hatten, kam es zu heftigen und teilweise sogar handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den meist sandinistischen LeiterInnen der Wahllokale und den Menschen, die noch immer Schlange standen, weil sie wählen wollten. Einmal waren es angebliche Stromausfälle, die sich hinterher als Falschmeldungen entpuppten, und dann wieder war es der Unmut der Wartenden, der die vorzeitige Schließung der Wahllokale zur Folge hatte.


Das alles blieb noch im Rahmen der Gepflogenheiten lateinamerikanischer Regierungen, ebenso wie die Tatsache, dass der Oberste Wahlrat, der – wie der Oberste Gerichtshof – von AnhängerInnen des Ortega-Regimes kontrolliert wird, zunächst nur die Resultate jener Gemeinden veröffentlichte, in denen die Sandinisten eine satte Mehrheit hatten.
Die Steine kamen buchstäblich ins Rollen, als die AktivistInnen der FSLN in den bis heute umstrittenen der beiden größten Städte, Managua und León, bereits ihren Sieg feierten, als erst etwa 3 Prozent der abgegebenen Stimmen veröffentlicht waren. „Wir machen von unserem demokratischen Recht Gebrauch, die öffentlichen Plätze zu besetzen, damit unsere Gegner das nicht mehr tun können“, sagte der Wortführer einer Gruppe von SandinistInnen beim Metrocentro, in unmittelbarer Nähe des Sitzes des Obersten Wahlrates.


Daraufhin rief Eduardo Montealegre, der Spitzenkandidat der oppositionellen PLC für das Amt des Bürgermeisters von Managua, noch in der Wahlnacht eine Pressekonferenz ein und erklärte sich unter Berufung auf die von seiner Partei zusammengetragenen Wahlakte seinerseits zum Sieger über den sandinistischen Kandidaten, den ehemaligen dreifachen Boxweltmeister Alexis Arguello.


Bereits in den Morgenstunden des Montag, noch bevor der dickleibige Vorsitzende des Obersten Wahlrates, Roberto Rivas, das „vorläufig endgültige Ergebnis“ bekanntgab, dem zu Folge die FSLN mit 52 gegen 46 Prozent der Stimmen in Managua und noch etwas knapper in León gewonnen habe, verlegte sich die Auseinandersetzung auf die Straße. Die Liberalen von der PLC begannen von der Stadteinfahrt im Süden der Hauptstadt in Richtung Hotel Intercontinental zu marschieren, wo das Endergebnis bekannt gegeben werden sollte.


Dabei kam es zu richtigen Straßenschlachten mit oft nur einen Häuserblock entfernten sandinistischen Gruppierungen, die bereits seit der Wahlnacht auf verschiedenen Plätzen Aufstellung genommen hatten. Im Hagel der Steine und Schlagstöcke gab es Verletzte und eine Tote, ein 13jähriges Mädchen, das auf der Seite der Liberalen gestanden war. Besonders bedrohlich war die Karawane der PLC, als sie beim Haus von Eden Pastora vorbeizog, dem legendären Anführer (Comandante Zero) einer militärischen Aktion, bei der im Jahr 1978 das Parlament des Somoza-Regimes besetzt und ein Großteil der sandinistischen Führung aus dem Gefängnis freigepresst wurde. Eden Pastora schoss zurück, zielte aber nach eigenen Aussagen über die Köpfe der Randalierer hinweg und forderte Eduardo Montealegre übers Fernsehen zum Duell auf.


Im Gegenzug stürmte eine Gruppe von SandinistInnen Montealegres Kampagne-Hauptquartier, in dem sich u.a. gerade der Parteichef der PLC Ricardo Quiñones befand. Auch dieser schoss mit seiner Pistole aus dem Inneren des Gebäudes auf die Angreifer und verletzte dabei einen der Demonstranten am Bein. Eigenartigerweise schritt die Polizei erst ein, als das stundenlange Gefecht vorbei war.


Ob dieses bürgerkriegsähnliche Szenario weiter anhalten wird, kommt letztendlich darauf an, ob beide Konfliktparteien bereit sein werden, in einen politischen Verhandlungsprozess einzutreten, in dessen Mittelpunkt der Vorwurf eines Wahlbetrugs größeren Ausmaßes steht.

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